Wie ein Bewusstsein für das Drumherum neue Geschmäcke erschließt

Was unsere Vorfahren oft konnten, ja können mussten, war die Kunst, potentielle Delikatessen von Unkraut zu unterscheiden. Heute gibt es Menschen, die das wieder und vielleicht immer noch können – und es lohnt sich von solchen Köchen zu lernen, denn der Genussreichtum lässt dieses Wohlgefühl im Körper zurück, das man nur hat, wenn man sich bewusst wird, was für einen Treffer man gelandet hat. Eines der ersten Wildkräuter im Frühjahr – und vor allem im Morgennebel von Feld und Flur zu finden – ist der Ackerheller. Ihn zeichnet ein leichtes Knoblaucharoma aus. Intensiv süßlich und irgendwie anders als erwartet wird es mit dem guten alten Waldmeister – wenn man ihn leicht antrocknet statt frisch verarbeitet. Die Natur vor der Haustür kann eine ganze Speisekammer sein und mit ihrer Aromatik eine Unverwechselbarkeit in der Küche herstellen. Ob Triebe, Kapseln, Blätter, Blüten und Kräuter, die man fast vergessen hatte.

Die Süddeutsche Zeitung sprach in einem Artikel aus dem Sommer mit einem der Sterneköche, der das meiste botanische Wissen seiner Zunft über die Jahre erworben haben dürfte. Andree Köthe ist fast jeden Tag am frühen Morgen unterwegs, um seine Entdeckungen zu machen. Im Artikel erzählt er von spannenden Dingen, unter anderem von am Feldrand stehengebliebenem, letztjährigen Lauch, der von der Mitte her neu nach oben austreibt, um seine Blüten zu bilden. Den Stil kann man schälen und wie Spargel verwenden, ebenso wie der grüne Strunk des japanischen Knöterichs die Säure des Rhabarbers nachahmt und die Blüten der Scheinquitte nach Marzipan schmecken.
Um der gemüsezentrierten Küche einen zutiefst aromatischen Geschmack mitzugeben, als bewusster Gegenpart zur leichten Feinheit des frisch gegarten, ist eine weitere, uralte Technik im Spiel: die Fermentation, also das kontrollierte Vergähren. Hiermit lässt sich Umami erzeugen, der vor allem in Japan verehrte fünfte Geschmack.
Besonderes kreieren, ohne dabei die Exotik und tausende Kilometer gereiste Ware verarbeiten zu müssen – das liegt sehr nahe, wenn man die Augen offen hat und wissbegierig ist, was die Natur um einen herum alles hergibt. Eine Aufgabe, der es sich nachzugehen lohnt, nicht nur wegen der Nachhaltigkeit, es ist einfach wahnsinnig spannend.

Am Rande des Felds wartet manche Aromatik. Foto: Pixabay

Ein Beitrag von Matthias Weißmann
Erschienen im Magazin Pfeffer & Salz | 05/2022